Plattform Nr. 2 / September 1995

junge worte - schreibwerkstatt

Einblick in die Schreibwerkstatt junger Menschen und was es da zuschreiben gibt.



Wahrscheinlich kennen wir alle diese netten, knackigen, gut aufgemachten Heftchen, die überall dort herumliegen, wo auch die Jugend herumirrt und -liegt. Da brüsten sich gutgemeinte Texte von 13- bis 22jährigen auf dem Titelbild, gefolgt von einer Menge anderer Texte, einer Art Gedicht und vielen Fotos daneben oder zwischendurch. Alles gutgemeinte Möglichkeiten, endlich einmal in einem öffentlichen Heft in Erscheinung treten zu dürfen. Ja, und wäre da nicht eine Riesenauswahl an Apparaten und Angeboten speziell für Jugendliche in der Heftmitte! Vom Taschenrechner bis Computer kannst Du alles haben (lies: kaufen!). Und wieder einmal werden alle diese Bemühungen von Text und Fotos, diese jungen Menschen zu einer Farce, zu einem Mittel für den Kauf- und Verkaufszweck. (Ich kotz...)

"Plattform" widmet diese Nummer Jugendlichen zum Thema Textkultur und "Schreibdichsatt" (aber anders!). Sie dürfen, sollen, müssen hier zu Wort kommen. Sie schreiben. Sie sprechen sich zur Sprache aus. Wir sehen hinein in die junge Schreibwerkstatt ihrer Daseinsbewältigung. Ohne Zweck, selbstverständlich. Der Zweck dieser Texte ist ihr Vorhandensein.

Ich denke, gerade auch in unserem Jugendverband tummelt sich allerlei an Begabung und schriftlichem Ausdruck in der Schubladenlandschaft.

Ihr habt das Wort! Raus mit der Sprache in unserer sprachlosen Zeit. Ein Versuch wenigstens. Ein Anfang.

Bruno Sommer



Tag
   für
Tag
   für
Tag
   tropft
die
Ewigkeit
in 
die
Herzrinde
der
Menschenschinder.

Auch das
noch.
Bruno Sommer


Schreiben -
Gedanken fassen, festhalten - 
loswerden - mitteilen - auskotzen, schwärmen - fluchen - Bewusstwerdung
wahrnehmen, ernstnehmen, was in mir vorgeht, anklingt, aufschallt
mit mir und meinen Gedanken sein
Gedanken, welche nur mir gehören
zu mir gehören
Klarheit schaffen, ordnen
mich mir mitteilen
Freude an Symbolen, Geschichten
Bilder suchen
mit-schreiben an meiner Lebensgeschichte
Mirjam Jäggi


ich werde meine Gefühle nie fassen -
jedoch versuchen will ich sie
Mirjam Jäggi


Ein Lied

die Stimme singt das Vertrauen lockt die Stimme singt teils laut, teils schwach die Stimme singt von der Liebe, über die Hoffnung die Stimme singt von Schmerz und Trauer die Stimme singt sie singt vom Leben o singe, swinge, begleite mein Leben.
Mirjam Jäggi


Gibt es gute Lyrik und Prosa von jungen Menschen?

Gibt es dafür Gefässe?

Jeder junge Mensch, der etwas schreibt und dabei innere Erschütterungen, eine rauschhafte Freude, die atemberaubende Erfahrung des gelingenden Gestaltens erlebt, schreibt gut. Solche gute Jugendliteratur hat es immer gegeben, und es gibt sie auch heute noch.

Gefässe dafür sind allerdings fast keine vorhanden. Kurzprosa und vor allem Lyrik haben keinen Marktwert (ein gutes Zeichen!), und darum hat niemand Geld für eine Publikation. Die wenigen noch existierenden Literaturzeitschriften werden mit Manuskripten derart überflutet, dass die Chance, berücksichtigt zu werden, gering ist. Es finden aber immer wieder Wettbewerbe statt, ausgeschrieben in Literaturzeitschriften und manchmal in der Tagespresse.



Unser Schiff ist leck -
zum Glück haben die Dichter Pech!

Diesen Zweizeiler habe ich im Alter von 17 Jahren geschrieben. Also dann! Greift zur Feder, organisiert Vorlesezirkel, haut Eure Gedichte in den PC und verteilt sie auf der Strasse! Das Beste davon könnt Ihr auch einer Zeitung oder Literaturzeitschrift zusenden, denn das Schlimmste (aber ganz und gar nicht Tragische), das dabei passieren kann, ist, dass es im Papierkorb landet (es ist ja nur die Kopie, das Original bleibt immer bei Euch selber!).

Erwin Messmer

Erwin Messmer ist Musiker und Schriftsteller und arbeitet bei der Literaturzeitschrift "Orte" mit. "Orte" kann für wenig Geld abonniert werden. Nähere Auskünfte bei Bruno Sommer. Telefon: 031/331 42 40


Vom Beginn einer grossen Leidenschaft

Ich habe ein grosse Leidenschaft: Schreiben! Alles begann mit einem dunkelblauen Buch mit weissen und beigen Blümchen darauf: Mein erstes Tagebuch! Seither bin ich mit dem Schreibvirus infiziert.

Im Tagebuch drücke ich meine Stimmungen, Gedanken und Gefühle aus; sinne Ideen, Begegnungen und Erlebnissen nach. Ich schreibe, zeichne, klebe, dichte. Niemand beurteilt, korrigiert, bewertet, kritisiert. Meine kleine Gedanken-Oase!

Seit einiger Zeit kaufe ich A4-formatige Tagebücher und trage deshalb auf Reisen nur Luftpostpapier bei mir. Später schneide ich meine Notizen auseinander und illustriere sie mit Billetts, Postkarten, Zeichnungen und Bemerkungen.

Vielleicht greifst auch Du, liebe Leserin, lieber Leser, wieder einmal zu Stift und Papier und findest Geschmack an der grenzenlosen Freiheit, mit Buchstaben, Gedanken und Erlebnissen zu spielen!

Anne-Dorothy Kittel




Ich schreibe
aus einer inneren Notwendigkeit -
der Notwendigkeit,
dem Kopf die Gefühle verständlich
zu machen.

Schreiben hilft mir, 
ruhig zu werden, Gedanken zu ordnen.

Schreibend lege ich Dinge beiseite, 
um sie später, 
aus einer gewissen Distanz,
neu zu betrachten

oder

halte Erlebnisse fest, um sie
vor dem Vergessen zu bewahren.
Anne Danz


tanze
traurig, wie die Blätter im Herbstwind

tanze
schreiend, wie die Schwalben am Frühlingshimmel

tanze
lachend, wie die Kinder auf der Wiese

tanze
aller Hoffnungslosigkeit zum Trotz

um des Lebens Willen
tanze!

1. Mai 1991, Tag der Flüehli Ranft-Kurdenausschaffung

Anne Danz



Übrigens

Kann jedeR schreiben?

Seit mehreren Jahren biete ich Schreibwerkstätten an. Folgende Gedanken beschreiben meine Faszination für diese Arbeit.

Zu Beginn eines Kurses herrscht Vorsicht, Distanz und Reserve. Dann, wenn deutlich wird, dass es keine Korrekturen geben wird, tiefes Aufatmen und frisches Losschreiben. Da kommen Texte hervor von Personen, die sagen, sie könnten eigentlich nicht schreiben, hätten Mühe mit Aufsätzen und Briefen. Heimlich tun sich aber frech und schelmisch Gegenwelten auf, in denen gesprudelt, geflunkert und sprachgespielt wird, dass es für's Zuhören eine Lust und Ohrenweide ist!

So ist vielem Schreiben eine Art Trotz eigen: trotz Normen, trotz Massregelung, trotz Rotstift bleibt eine Leidenschaft für die Schrift und ihre Abenteuer erhalten, die einen Ausdruck sucht und Gestalt findet. Sehr eindrücklich, welche Texte entstehen, mit welcher Gewandtheit und Sprachliebe sie aufgesetzt sind. Da erscheint mir die Rede von der sprachlosen Jugend immer wieder als Mythos, verbreitet von jenen, die sich diese Sprachlosigkeit wünschen und nicht merken, dass eine neue andere Schreib- und Formulierfreude entstanden ist. Unter der Oberfläche des Offiziellen zwar, eine Geheimsprache, die sich vor all zu vielen Normen und Regeln scheut, deshalb auch Nischen sucht, wo eigenwillige Ausdrucksweisen ihren Platz finden.

"Schreiben kann jedeR", hiess einmal ein Motto, welches der Schreibbewegung vor gut 20 Jahren Antrieb und Richtung gab. Aus meiner Arbeit heraus kann ich dieses Motto bestätigen und ergänzen: "Schreiben kann jedeR, nur glaubt es nicht jedeR!"

Peter Morf

Peter Morf bietet regelmässig Schreibwerkstätten in der Erwachsenenbildung Wolfbach, Zürich (Berufsschule IV) an. Er organisiert, auf Anfrage hin, auch interne Kurse und Weiterbildungen. Telefon: 01/362 72 36



Büchertips

Wörter mit Flügeln - Kreatives Schreiben

Christa und Emil Zopfi
Zytglogge Werkbuch, 122 Seiten, zahlreiche Fotos/Abbildungen, Fr. 42.--, ISBN 3-7296-0505-4

"Wörter mit Flügeln" will Schreibbegeisterte weiterbringen, zeigt unübliche Wege auf, von der Idee über's Entwerfen und Bearbeiten, bis zum Veröffentlichen der Texte. Dieses Buch eignet sich für den Unterricht und für das selbständige Lernen. Die Lesenden lernen Schreibblockaden überwinden, Ideen entwickeln, die eigene Form und den persönlichen Schreibstil finden.

Fasziniert von der Idee, dass Schreiben tatsächlich lernbar ist, habe ich dieses A4-formatige Buch aufgeschlagen und viele spannende Anregungen zum spielerischen Umgang mit Buchstaben gewonnen.

Anne-Dorothy Kittel

Männer - Wie Frauen über Männer reden

272 Seiten, illustriert, gebunden, Fr. 29.80, Leib & Seele

Die ultimative, freche Sammlung von originellen Zitaten, boshaften Definitionen und ironischen Einsichten aus vielen Jahrhunderten zum Thema: "Das starke Geschlecht". Und natürlich auch aus neuester Zeit, unter anderem von Marlene Dietrich, Hillary Clinton, Uta Ranke-Heinemann, Cher, Erika Jong, Alice Schwarzer.



Musik-tips

Volkstänze: rockig - traditionell - meditativ

Endlich auf CD! Die bekanntesten Volkstänze wie "Mayim", "Troika", "Stammtisch-Polka", "Tzadik Katamar", "Polonaise", aber auch Varianten in Rockversionen und meditative Tänze auf einer CD - das ideale Hilfsmittel für die Jugendarbeit und Schule! Zur CD gehört ein Booklet mit ausführlichen Tanzbeschrieben. Informationen über Einführungsabende werden mit der Lieferung bekannt gegeben. Preis: Fr. 35.--.

Bestellungen bei:
JUSESO Thurgau, Postfach 270, 8570 Weinfelden



"Rock gegen Hass 1990 bis 1994 Open Air Lengnau"

Hear we go, 38208, COD Tuxedo



Nacht-Tiere

Linard Bardill & L'Art de Passage
Zytglogge ZYT 4995



Trendig

In unserer Kirche muss sich etwas ändern!

Dies' ist die Quintessenz der durch das Institut für Markt- und Meinungsforschung Isopublic durchgeführten Umfrage, die in "Das Beste von Reader's Digest" in der Juni-Nummer veröffentlicht worden ist.

Die konkreten Aenderungswünsche?

Mehr Ehrlichkeit, Offenheit, Dynamik; weniger konservativ und weltfremd; mehr im Alltag engagierte Pfarrer; in Predigten auf heutige Probleme eingehen; die Jugend direkter ansprechen; weniger Dogmatismus, Vorschriften und Einmischung; menschlicher, direkter aufeinander zugehen; Zölibat abschaffen; Verhütungsmittel akzeptieren; mehr um Armut kümmern, statt um Politik; Frauen als Priesterinnen zulassen; ernsthafter, seriöser mit Religion umgehen.

Wenn sich die Kirche diese Wünsche wirklich zu Herzen nähme, dann hätten wir eine echte "Volkskirche" und bräuchten vielleicht keine "Kick"-Erlebnisse wie Zug- und Autosurfen, Cliff-Jumping oder Sky-Diving mehr.

Peter Welti



Jugendliche fordern eine Zukunft - Arbeitslose in den Townships ergreifen die Initiative

Im Township Chitungwiza, einer Vorstadt von Harare (Zimbabwe), sind über die Hälfte der Jugendlichen arbeitslos, viele davon auch obdachlos. In der Wohnagglomeration für die schwarze Bevölkerung gibt es kaum Produktionsbetriebe, damit auch keine Arbeitsstellen. Das daraus entstehende breite Problemfeld ist uns auch bekannt.

Der Christliche Friedensdienst (cfd) unterstützt die Basisorganisation CHIYSAP, die der Jugendarbeitslosigkeit den Kampf angesagt hat. Hauptziel ist die technische und fachliche Befähigung von Jugendlichen, damit sie als selbständig Erwerbende oder in Produktionsgruppen ihr Einkommen sichern können.

Weitere Informationen bei:
Christlicher Friedensdienst cfd, Postfach, 3001 Bern, Telefon: 031/301 60 06


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last change: 13-Oct-1998