Plattform Nr. 10 / September 1997

Das JugendLos = ArbeitsLos?

Jugend und Arbeitslosigkeit gehören heute zusammen. Lehrstellen und Arbeitsstellen für junge Menschen sind rar geworden. Leider. Wirtschaft darf und kann wieder ausbeuten, ausnutzen. Es wird aber auch viel getan. Viel Gutes. Diese Plattform bietet einen Einblick in eine Beratungsstelle für junge Erwerbslose. Zeigt Möglichkeiten auf, bietet Tips in Sachen jugendlicher Arbeitslosigkeit. Sie will und möchte aber auch eines: Mut machen.


Tatort

Diese dreckige, dichtbefahrene Strasse stinkt mir. Erhitzt und von Abgasen durchtränkt betrete ich den Info- und Beratungstreff für erwerbslose Jugendliche. Der Treff liegt an dieser Strasse, gut zugänglich für jedermann und -frau. Hallo. Sibyl, symphatisch und zuvorkommend, begrüsst mich, ohne aufdringlich zu sein. Nein, keine Lehrstelle, danke, auch keinen Job, habe ich... Habe mit Ueli abgemacht. Möchte so über den Laden hier reden... Er ist noch nicht da, spontan wird mir ein Kaffee spendiert, so vergeht die Zeit angenehm schnell. Ich suche das Gespräch mit Sibyl. Auch sie ist betroffen, macht ein Beschäftigungsprogramm hier. Da habe ich's, Jugendarbeitslosigkeit wird greifbarer. Ich stürze mich auf das Opfer, frage aus. Werde von anderen Realitäten unterbrochen, Telephone, Jugendliche, SchulabgängerInnen treten ein. Eine Lehrstelle bitte. Haben wir nicht. Die Stimmung bleibt angenehm, ja herzlich. Ein junges Pärchen kommt, er schämt sich nur für seinen Jahrgang, 1981, wollen in den Verkauf. Ein anderer träumt von einer KV-Lehrstelle. Da musst du aber in der Schule im Durchschnitt mindestens eine 5 bringen, Junge, natürlich Sekundarschule, sorry! Träume weiter, altes Kind. Ein wenig komme ich mir als Aussenseiter vor in dieser grossen Familie.

Die Beratungsstelle wirkt locker, stimmig, gefällt mir. Werde langsam ungeduldig, habe ja noch (zuviel) anderes zu tun.

Mit der Frage an Sibyl, was eigentlich Realschüler noch machen können nach der Schule, ernte ich Schulterzucken, Verlegenheit. Maurer halt, irgendwie oder so. Neue Telephonate unterbrechen uns ein weiteres mal. Der Lader hier wird gebraucht.

Dann kommt Ueli. Er wirkt gestresst, wir sitzen in das Café im Beratungstreff, auf perfekten Arbeitslosenstühlen, vermutlich war da ein Projekt. Auch hier im Café wirkt alles offen und angenehm.

Auf die Frage, was sie hier überhaupt genau machen, ist Ueli gefasst. Er sprudelt los. Junge Menschen, SchulabgängerInnen oder solche nach abgeschlossener Lehre kommen vor allem zu uns. Hier gibt's keine Stellen. Aber viel Beratung. Die jungen Menschen lernen, wie sie sich in diesem Markt richtig verkaufen können, üben Bewerbungsgespräche, tippen Formulare, stärken das Selbstbewusstsein. Wissen alles über ihre Rechte und Pflichten. Beratung pur, kompetent und zuverlässig. Er gehe auch hinaus, ergänzt Ueli, in Schulen, immerwieder dorthin, wo viele AusländerInnen die Schulbank drücken. Hier schlägt das Schicksal am meisten zu. Sprachschwierigkeiten, Integrationsprobleme. Hier sind wir am Arsch der Arbeitswelt. Es gibt aber auch Perspektiven. Lehrbetriebe anschauen, auf einem Lokalradio eigenes Radio senden, Bewerbungen schreiben und das Wichtigste: Nie die Hoffnung verlieren. Patentrezepte gibt es selbstverständlich keine. Ueli erweckt Vertrauen, ich bin froh darum.

Die Frage nach seiner Befindlichkeit, wenn alle Anstrengungen nichts fruchten, bringt unser Gespräch ins Stocken. Nur landwirtschaftliche Angebote bleiben. Kohl, Beeren und Bauer am Schluss der jugendlichen Hoffnung. Auch ich war einmal 16 Jahre alt und voller Träume. Ich schweife ab. Ueli rezitiert: die Lösung gibt es nicht, weitermachen, bilden, weiter bewerben.

Politisch etwas in Bewegung zu bringen, übersteigt die Kapazität der Beratungsstelle. Hier hofft Ueli auf die Jugend selber. Doch viele LehrabgängerInnen sind am Limit. Nach 100 Bewerbungen verlieren (fast) alle den Mut, logisch. Sich hier noch politisch die Haut aufzureissen für ihr Anliegen, ist zuviel verlangt. Zuerst einen Job, bitte. Alles weitere später. Vieles geht auch in Angst und Aggression unter. Und die ist da. Die Stigmatisierung als faule Hunde, namens Arbeitslose, ist drückend und präsent. Hier entstehen keine neuen Gewerkschaften, hier gähnt die Vereinzelung. Solidarität, Jungs und Girls!

Umschulung, Weiterbildung sind die Renner. Monokultur in Sachen Job ist out. Vielfalt, Beweglichkeit und Breite sind heute gefragt. Es gibt noch andere Stellen, die in Sachen Jugendarbeitslosigkeit engagiert sind, zum Glück. Das Netz wächst, damit niemand durch die Maschen fallen muss. Jugendarbeitslosigkeit als neuer Arbeitsmarkt. Ueli kennt die Zuversicht. Ist auch der Kirche dankbar für ihr Mittragen. Solidarität auch von hier, das wünschen wir uns. Mit "uns" meint Ueli immer die Jugendlichen. Die verliert er nie aus den Augen. Solidarität, das wünsche ich ihm auch, von Herzen.

Bruno Sommer


Tips für von Stellenlosigkeit bedrohte LehrabgängerInnen




Übrigens

Bern Berufsberatung der Stadt Bern
Berufsinformationszentrum
Neugasse-Passage 3
3011 Bern
Tel. 031/321 64 51
Regionale Arbeitsvermittlungsstelle RAV
Kasthofenstrasse 21/23
Postfach
3000 Bern 31
Info- und Beratungstreff für erwerbslose Jugendliche
Laupenstrasse 37
3008 Bern
Tel. 031/382 99 11
ZürichArbeitslosen-Beratung Impuls
Hohlstrasse 86a
8004 Zürich
Tel. 01/242 79 34
Beratungen nach Voranmeldung
Vorträge jeweils Di 14 Uhr
Treffpunkt für Erwerbslose
Sihlquai 55
8005 Zürich
Tel. 01/272 04 72
Mo-Fr 14-18 Uhr
Vorträge jeweils Mi 15 Uhr
BaselLETPack
Güterstrasse 133
4053 Basel
Tel. 061/361 07 00
St. GallenArbeitslosentreff
Kirchgasse 11
9000 St. Gallen
Tel. 071/222 55 35
Gossau SGArbeitslosentreff
Gutenbergstrasse 6
9200 Gossau SG
Tel. 071/385 45 16




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Trendig

Ich wünsche den Jugendlichen:
  • dass es den Politikern in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft gelingt, genügend Ausbildungsplätze bereit zu stellen, damit alle eine Berufsausbildung machen können, und dass es auch gelingt, die Erwerbsarbeit in Zukunft so zu verteilen, dass jede und jeder vor längerer Arbeitslosigkeit möglichst verschont bleibt.
  • dass sie ihr Arbeitsleben und ihre Tätigkeiten offener und flexibler gestalten lernen als vergangene Generationen. Dass sie lernen, ihre Identität nicht zu fest mit der Erwerbsarbeit und dem einmal gelernten Beruf zu verknüpfen, sondern auch mit anderen sinngebenden Lebensinhalten. Dass sie sich ein Leben vorstellen können, in dem es verschiedene bezahlte und nicht bezahlte Tätigkeitsformen neben- und nacheinander gibt, in dem vor allem auch Nicht-Erwerbsarbeit wie Hausarbeit, Betreuungsarbeit, soziale, politische und kulturelle Arbeit als wertvolle, der Erwerbsarbeit gleichgestellte Arbeit angesehen wird.
  • Lukas Schwyn, Leiter Kirchliches Amt für Arbeit und Wirtschaft der Kantonalkirche Bern - Jura

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    last change: 13-Oct-1998